
Baukörper
Die Baukörper sind direkte Porzellanabgüsse ausgedienter Gips-Wandbauplatten eines Berner Gebäudes aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Sie abstrahieren Bauprozesse, konservieren Spuren unserer dynamischen und orts- und zeitabhängigen Baukultur und verkörpern Mittler zwischen Vergangenheit und Zukunft. Als Modellbausteine bieten sie Inspirationen für das Austarieren von Volumen-Verhältnissen und Spielraum für architektonische Experimente. Sie stellen Fragen zu Materialkreisläufen und den Umgang mit Bauschutt.
Die hier verwendeten Vollgipsplatten stammen aus einer alten Sprenglerei, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Erdgeschoss des Gebäudes befand. 2020 wurden die leerstehenden Räumlichkeiten von einer Gemeinschaft aus engagierten Hausbewohner:innen und knapp 100 Freiwilligen zu einem gastronomischen Betrieb, dem Café „Werkstadt Lorraine“ inklusive Shop für Faitrade-Lebensmittel umgebaut.
Die Objektformationen werden stark von den Ausgangsmaterialien und der Herstellungstechnik gesteuert. Die Oberfläche bildet ein Wechselspiel aus geschichteten Platten mit Nut und Kamm. Nur bestimmte Anordnungen der Vollgipsplatten erlauben das Gussverfahren mit Porzellan. Dies entspricht der Herangehensweise, die bereits das Projekt “Form Follows Material” leitet. Die Eigenschaften des vorzufindenden Materials bestimmen die Form der Objekte. Materialien, die üblicherweise als Ausschuss gelten, werden mit Aufmerksamkeit aufgefangen, analysiert, und die Geschichte und Essenz ihres Wesens durch Transformation in eine gegenwärtige Produktsprache betont. Die universell verwendbaren Gefässe sind in erster Linie Zeitzeugen, die durch ihre spezifische Formgebung und sinnliche Ausführung Materialbewusstsein und Kompositionsverständnis vermitteln.
Die rohe Beschaffenheit der Objekte entspricht dem Werkstatt-Charakter des Café „Werkstadt“. Die Abbildungen zeigen die beiden ersten gegossenen Exemplare. Auch die Stückzahl der Serie wird durch das Material, und seine Lebensdauer, bestimmt. Es können so viele Gefässe gegossen werden, wie die Platten das Gussverfahren überstehen.
Als Konsequenz werden die Baukörper idealerweise wieder in ihren ursprünglichen Ort integriert. Sie können praktisch als Gefässe im gastronomischen Betrieb des Werkstadt-Cafés dienen wie auch als zeitgenössische Tafelaufsätze um den Besuchenden Anregung für Gedanken und Gespräche zu geben.
Sowohl das Material Gips als Formenträger und Produktionshilfsmittel als auch Porzellan als Grundsubstanz der Objekte sind Naturprodukte und fliessen nach ihrem Gebrauch zurück in den Materialkreislauf. Das Prinzip der Verwertung von Bauschutt kann auf weitere Materialien und Orte ausgedehnt werden.


Gips-Wandbauplatten für den Formenbau

Werkstadt-Café in der Berner Lorraine vor dem Umbau 2019

